Anno
1713
19. April
Sanctio Pragmatica,
Über die Erbfolge des Durchlauchtigsten Ertz-Hauses
Oesterreich

Ihro Kayserliche Majestät haben auf den 19. April 1713. um 10. Uhr allen Dero allhier in Wien anwesenden geheimen Räthen, an dem gewöhnlichen Ort zu erscheinen ansagen lassen. Als nun die bestimmte Stund herbey gekommen, haben Sich Ihro Kayserliche Majestät in Dero geheime Raths Stube, unter den Baldachin begeben, und vor den gewöhnlichen Kayserlichen Tisch gestellt, darauf auch Dero geheime Räthe und Ministros hinein beruffen; diese seynd in ihrer Ordnung eingetreten, und jeder an seinem Ort stehen gebileben. Als

Titl. Prinz Eugenius von Savoyen
    Fürst von Trautson
    Fürst von Schwartzenberg
    Graf von Traun, Land Marschall
    Graf von Thurn, Ihro Kayserlichen Majestät Eleonora oberst Hof-Meister
    Graf von Dietrichstein Obrist Stall-Meister
    Graf von Seilern, Hof-Cantzler
    Graf von Stahrenberg, Cammer-Präsident
    Graf von Martinitz, junior
    Graf von Herberstein, Kriegs-Vice-Präsident
    Graf von Schlick, Böhmischer Obrist Hof-Cantzler
    Graf von Schönborn, Reichs Vice-Cantzler
    Ertz-Bischof von Valenzia
    Graf von Sinzendorf, Obrist Cämmerer
    Graf von Paar, Ihro Kayserlichen Majestät Amalia Obrist Hof-Meister
    Graf von Sinzendorf, Reichs Hof-Raths Vice-Präsident
    Graf Nicolaus Palfi, Königl. Hungar. Iudex Curiae
    Graf Jllieshasy, Hungarischer Cantzler
    Graf Khevenhüller, Nieder-Oesterreichischer Stadthalter
    Graf Gallas
    Graf von Salm, Ihro Kayserlichen Majestät Amalia Obrist Stall-Meister
    Marchese Romeo, Königl. Spanisch-geheimer Staats-Secretarius
    Graf Cornis, Siebenbürgl. Vice-Cantzler
                Referendarius von Schickh

Nachdeme nun alle gemeldte geheime Räthe und Ministri beysammen waren, haben Ihro Kayserliche Majestät vermeldet: Daß die Ursache und Zweck solcher Berufung Ihrer Dero geheimen Räthe und Ministrorum wäre, ihnen zu erkennen zu geben, daß von, und zwischen weyland Ihrer in Gott ruhenden gnädig- und hochgeehrtesten Herrn Vaters, Kaysers Leopoldi, und geliebtesten Herrn Bruders, damals Römischen Königs, und nachgehends auch Römischen Kaysers, Josephi, Majestäten und Liebden, glorwürdigster Gedächtniß, und dann Ihro Kayserlichen Majestät, als damalig declarirten König in Hispanien, gewisse Disposition, Ordnung, und Pacta successoria errichtet, und in Gegenwart verschiedener Kayserlicher geheimer Räthe und Ministrorum, allseits beschworen worden.

Weilen aber von denselben Räthen udn Ministeris, wenige mehr beym Leben sich befänden, so hätten Ihro Kayserliche Majestät der Nothdurft erachtet, ihnen anwesenden geheimen Räthen und Ministris, nicht allein obige Anzeige zu thun, sondern auch gemeldte Satzung und Pacta selbsten kund zu machen, und vorlesen zu lassen; wie dann Ihro Kayserliche Majestät solche Ablesung Ihrem Hof-Cantzler, Grafen von Seilern, stracks allergnädigst anbefohlen haben.

Codicis Austriaci

Solchemnach hat derselbe aus dem bey handen gehabten Königlich Spanischen, von damahls Königlichen, nunmehro auch Kayserlichen Majestät unterschriebenen, und mit Ihrem anhangenden Königlichen Insiegel bekräftigten Original Acceptions Instrument, den Spanischen Eingang, folglich aus Kaysers Leopoldi, und Römischen Königs Josephi, unterschriebenen, und mit anhangenden zweyfachen Kayser und Königlichen Insiegeln bestätigten Successions-Instrument, den völligen Innhalt, vom Anfang bis zu Ende, samt dem beigefügten notariatischen Anhang: endlich wiederum aus dem Königlich Spanischen Instrument, die Annehm- und Ihrer seitige Verbindung, bis zu Ende ebenmäßig mit dem Notariatischen Anhang, laut und deutlich abgelesen, welche Instrumenta datiret seynd Wien den 12. September 1703.

Nachdem dieses also geschehen, haben Ihro Kayserliche Majestät hauptsächlichen Inhalts weiters vermeldet: Es sey aus denen abgelesenen Instrumentis, die richtige und beschwohrne Disposition, und das ewige Pactum Mutuae successionis, zwischen beeden Joseph- und Carolinischen Linien, zu vernehmen gewesen, daß dahero nebenst, und zu denen von weyland Ihro Kayserlichen Majestät Leopoldo und Josepho höchstseeligster Gedächtniß, Ihrer Kayserlichen Majestät übertragenen Erb-Königreiche und Länder, nunmehro nach Absterben weyland ihres Herrn Bruders Majestät und Liebden, ohne männliche Erben, auf Ihre Kayserliche Majestät, auch alle dessen hinterlassene Erb-Königreiche und Lande gefallen, und sammentlich bey Ihren ehelichen Männlichen Leibes-Erben, nach dem Iure primogeniturae, so lang solche vorhanden, unzertheilet zu verbleiben haben. Auf Ihres Männlichen Stammes Abgang aber, so Gott gnädiglich abwenden wolle, auf die Ehelich hinterlassende Töchter, allzeit nach Ordnung und Recht der primogenitur, gleichmäßig unzertheilt kommen; ferners, in Ermangelung oder Abgang der von Ihrer Kayserlichen Majestät herstammenden aller Ehelichen descendenten Mann- und Weiblichen Geschlechtes, dieses Erb-Recht aller Erb-Königreiche und Lande, unzertheilter auf Ihre Majestät Herrn Bruders Josephi Kayerlicher Majestät und Liebden, seeligster Gedächtnis, nachgelassene Frau Tochter, und deren Eheliche Descendenten, wiederum auf obige Weise nach dem Iure primogeniturae, fallen, eben nach diesem Recht und Ordnung auch, ihnen Frauen Ertz-Herzoginnen, all andere Vorzüge, und Vorgänge, gegenwärtig zustehen und gedeyen müsten.

Alles in dem Verstand, daß nach beeden, der jetzt regierenden Carolinischen, und nachfolgender in dem weiblichen Geschlecht hinerlassenen Josephinischen Linien, Ihrer Kayerlichen Majestät Frau Schwestern, und allen übrigen Linien des Durchlauchtigsten Ertz-Hauses, nach dem Recht der Erst-Geburt, in ihrer daher entspringenden Ordnung, jedes Erb-Recht, und was dem anklebet, gebühre, allerdings bevorbleibe, und vorbehalten sey.

Um Willen nun diese immerwährende Satzung, Ordnung und Pacta, zu Ehre Gottes, und Conferuation aller Erb-Lande, angesehen, erreichet, und nächst, und sammt weyland ihres Herrn Vaters und Herrn Bruders Majestät und Liebden, von Ihrer Kayserlichen Majestät durch leiblichen Eyd-Schwur bekräfftiget worden: so würden so wohl Ihre Kayerliche Majestät darob beständig halten, als Ihre Majestät zu ihnen gehemden Räthen und Ministris sich mildest vorsähen, dieselbe auch gnädigst ermahnen, und ihnen befehlten, daß nicht minder sie solche Pacta und Verordnungen vollkommentlich zu beobachten, zu erhalten, und zu verthädigen, gedacht und beflissen seyn sollten, und werden; wie dann Ihre Kayerliche Majestät, zu diesem Ende, Sie geheime Räthe und Ministros, in diesem Fall ferners des vinculi silentii entlassen haben wollten. Wornach Ihre Kayerliche Majestät, und folgend die Herrn geheime Räthe und Ministri, abgetreten seynd.

Daß obiges alles also vorgegangen, und verhandelt worden, bezeuge mit meiner eigenen Hand Unterschrifft, und gewöhnliche Petschaft.

Wien den 19. April 1713.

Ich Georg Friedrich von Schick, ect.

Die Pragmatische Sanktion ist nichts anders als eine Ausnahmeregelung zur Salischen Erbfolgeordnung (agnatische Erbfolge unter Ausschluß aller weiblichen Nachkommen).
Sie wurde 1713 als einseitge hausrechtliche Erklärung von Kaiser Karl VI. (seit 1711 Erwählter Römischer Kaiser) in seiner Eigenschaft als Chef des Hauses Habsburg verkündet (hatte also keine staatsrechtliche Bedeutung).

Nachdem Kaiser Leopold I (1658-1705) testamentarisch im Jahr 1703 festgelegt hatte, daß nach dem Aussterben des Hauses Habsburg im Mannstamm zuerst die Töchter des Kaisers Josef I. (1705-1711), der die josephinische (deutsche) Linie des Hauses Habsburg gründen sollte, und erst nach deren Aussterben auch die Töchter des damaligen (umstrittenen) Königs von Spanien Karl, der die carolinische (2. spanische Linie des Hauses Habsburg gründen sollte), erbberechtigt wären. Nachdem jedoch Josef I. 1711 so früh verstorben war und sein Bruder Karl, formal König von Spanien, somit die Erbfolge in den deutschen Erblanden und im Reich als Karl VI. antrat, hat dieser, auch nach dem endgültigen Verlust Spaniens (siehe Spanischer Erbfolgekrieg), in der Pragmatischen Sanktion das Testament seines Vaters dahingehend geändert, daß seine Töchter vor den Töchtern seines Bruders und vormaligen Kaisers Josef I. erbberechtigt sein sollten. Dadurch wurde Maria Theresia, älteste Tochter Karls VI. Thronfolgerin anstelle der beiden Töchter Josephs I. (Maria Josepha, 1699-1757, verheiratet mit Friedrich August II. König von Sachsen und Maria Amalia Josepha, 1701-1756, verheiratet mit Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern), welche die Pragmatische Sanktion jedoch nicht anerkannt haben, weshalb zwischen 1740 und 1745 der Österreichische Erbfolgekrieg wütete.

Kaiser Karl VI. hat als König von Ungarn die Pragmatische Sanktion im Jahre 1723 rechtsverbindlich für das Königreich Ungarn und seine Nebenlande verkündet,
Kaiser Karl VI. hat als Erzherzog von Österreich die Pragmatische Sanktion im Jahre 1724 rechtsverbindlich für die Stammlande der Habsburger (Erzherzogtum Österreich, Königreich Böhmen und Nebenländer, Tirol, Steiermark, Krain, ..., alles Teile des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation) verkündet;
Kaiser Karl VI. hat in dieser Eigenschaft die Pragmatische Sanktion im Jahre 1731 rechtsverbindlich für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verkündet.

Die Pragmatische Sanktion wurde außerdem von Spanien 1725, von Rußland 1726. Großbritannien 1731 und Frankreich 1738 durch völkerrechtlichen Vertrag anerkannt.

Eigentlich war die Pragmatische Sanktion eine gegen die damalige Reichsverfassung gerichtete Änderung der Erbfolgeordnung in einem der Reichsländer. Vereinfacht erklärt: Im alten (I.) Deutschen Reich war der Kaiser oberster Lehnsherr, dieser gab das Land an einzelne Fürsten zu Lehen und zwar in der Regel für die Fürsten und deren männliche Nachkommen. Ist es zu dem Fall gekommen, daß ein Fürstenhaus, das ein Reichslehen besaß, im Mannstamm ausstarb, so fiel das Reichslehen an den Kaiser zurück, der es wiederum einem Fürsten zu erblichem Lehen gab. Auch die "österreichichen Erblande" waren nichts anderes als eine Anzahl von (nur durch das gleiche Fürstenhaus verbundene) Reichslehen. Da jedoch der Fürst dieser Reichslehen gleichzeitig Kaiser und damit oberster Lehnsherr war, konnte diese Erbfolgeänderung überhaupt durchgesetzt werden.
 


Quellen: Fischer/Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungsgeschichte, Wien 1970, Gwyer-Edition
© 27. Dezember  2001
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