Staatserklärung
vom 14. November 1918
über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich

Die Provisorische Nationalversammlung beschließt im Namen des deutschösterreichischen Volkes zur Sicherung seiner Wohnstätten wie seiner Stellung unter den anderen Staaten und Völkern die nachfolgende

Erklärung:

1. Das Gebiet, über das die Republik Deutschösterreich die volle Gebietshoheit ausübt, ist durch das Gesetz vom 22. November 1918, St. G. Bl. Nr. 40 bestimmt.

2. Die in den Siedlungsgebieten anderer Nationen eingeschlossenen, allein oder überwiegend von Deutschen bewohnten oder verwalteten Sprachinseln, Städte, Gemeinden und Ortschaften der im Reichsrate vertreten gewesenen Königreiche und Länder bleiben bis zur verfassungs- und völkerrechtlichen Sicherstellung ihrer politischen und nationalen Rechte unter der Hoheit der Republik Deutschösterreich als ihr Rechtsbereich.

Sie behalten ihre bisherige Vertretung in der Provisorischen Nationalversammlung und bleiben den Gesetzen und Behörden von Deutschösterreich unterstellt.

3. Der Staatsrat gibt bekannt, welche Gerichtsbezirke, Städte, Gemeinden und Ortschaften zu diesem Rechtsbereich gehören.

4. Das Industriegebiet im äußersten Norden Ostmährens und Ostschlesien, einschließlich der Sprachinsel Bielitz-Baila, bilden mit ihrem Bergbau und ihrer Industrie ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, auf das die Staaten Deutschösterreich, der tschechoslowakische Staat und der polnische Staat gleichermaßen Anspruch haben, zumal es auch durch seine Eisenbahnen und Wasserstraßen für jeden von ihnen die größte Bedeutung hat. Schon hierdurch ist der zwischenstaatliche Charakter dieses Gebietes festgestellt. Deshalb ist dieses einheitliche Wirtschaftsgebiet als zwischenstaatliches Verwaltungsgebiet der drei Staaten mit einer von ihnen zu vereinbarenden zwsischenstaatlichen Verwaltung völkerrechtlich zu gestalten; diese Forderung vertritt der Staat Deutschösterreich schon jetzt und für den Friedensschluß.

Inzwischen behält dieses Gebiet seine bisherige Vertretung in der Provisorischen Nationalversammlung und bleibt den bisherigen Gesetzen und Behörden unterstellt.

5. Die geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete der Komitate Preßburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg gehören geographisch, wirtschaftlich und national zu Deutschösterreich, stehen seit Jahrhunderten in innigster wirtschaftlicher und geistlicher Gemeinschaft mit Deutschösterreich und sind insbesondere der Stadt Wien zur Lebensmittelversorgung unentbehrlich. Darum muß bei den Friedensverhandlungen darauf bestanden werden, daß diesen deutschen Siedlungen das gleiche Selbstbestimmungsrecht zuerkannt werde, das nach wiederholten Erklärungen der ungarischen Regierung allen anderen Völkern Ungarns eingeräumt ist.

6. Die in den Ländern der ungarischen Krone gelegenen deutschen Sprachinseln sowie in Siedlungsgebiete eingestreute Städte und Gemeinden samt ihren deutschen Bewohnern, aber auch alle deutschen Minderheiten in den auf den gebieten Österreich-Ungarns neugegründeten Nationalstaaten überhaupt gehören kraft der unzerstörbaren Volksgemeinschaft und kraft ihrer bisherigen mehrhundertjährigen Reichsgemeinschaft zum nationalen Interessenbereich des Staates Deutschösterreich. Er wird sich bemühen, ihren Bestand, ihre Zukunft und ihre nationalen Beziehungen zu Deutschösterreich völkerrechtlich zu sichern.

7. Kraft der seit undenklicher Zeit bestehenden Verkehrs- und Handelsbeziehungen, die das Land über den Karst und die Alpenpässe mit der Adria und die Donau abwärts mit dem Balkan und dem nahen Orient verknüpfen, die aber zur Zeit bedroht sind, erklärt der Staat Deutschösterreich die volle Freiheit der Handels- und Verkehrswege, die diesen Beziehungen dienen, für eine seiner Lebensnotwendigkeiten und erwartet, daß der Friedensschluß diesen wirtschaftlichen und kulturellen Interessenbereich Deutschösterreichs anerkennt.

Der Staatsrat und alle ihm untergeordneten Behörden und Ämter sind angewiesen, nach diesen Grundsätzen das innerstaatliche Leben zu ordnen und die notwendigen völkerrechtlichen Abmachungen zu treffen.
 

Auf Grund des § 7 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt wird beurkundet, daß der obenstehende Beschluß von der Provisorischen Nationalversammlung am 22. November 1918 gefaßt worden ist.

Der Präsident
Seitz

Der Staatskanzler
Renner

Der Staatsnotar
Sylvester
 


Quellen: Staatsgesetzblatt für die Republik Deutschösterreich, Jg. 1918, Nr. 41
© 25. August 2012

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