Gesetz
vom 26. Jänner 1907,
betreffend strafrechtliche Bestimmungen zum Schutze der Wahl- und Versammlungsfreiheit.

(R.G.Bl. 18/1907)

Änderungen unbekannt

Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrates finde Ich anzuordnen, wie folgt:

§ 1. Die nachfolgenden Bestimmungen finden nur soweit Anwendung, als nicht die Tathandlung die Merkmale einer schon nach dem allgemeinen Strafgesetze strafbaren und mit einer strengeren Strafe bedrohten Straftat an sich trägt.

I. Bestimmungen zum Schutze der Wahlfreiheit.

§ 2. Die den Schutz der Wahlfreiheit betreffenden Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes gelten für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Reichsrates, zu den Landtagen, Gemeinde- und Bezirksvertretungen und zu allen anderen gesetzlich zur Besorgung öffentlicher Angelegenheiten berufenen Körperschaften und Vertretungskörpern.

§ 3. Wahlbestechung. Wer vorsätzlich
1. einem Wahlberechtigten oder einem Dritten einen Vermögensvorteil anbietet, gewährt oder verspricht, um den Wahlberechtigten dadurch zur Nichtausübung seines Wahlrechtes oder zu dessen Ausübung in einem bestimmten Sinne zu bestehen, oder
2. für sich oder einen Dritten unter der Zusage oder dem Scheine, sich dadurch zur Nichtausübung seines Wahlrechtes oder zu dessen Ausübung in einem bestimmten Sinne bestehen zu lassen, einen Vermögensvorteil begehrt, annimmt oder sich versprechen läßt,
wird wegen Vergehens mit strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft. Der zugewendete Vermögensvorteil oder dessen geldeswert verfällt zu Gunsten des Armenfonds der Gemeinde.

§ 4. Öffentliche Bewirtung von Wahlberechtigten. Wer am Wahltage in Gast- oder Schankräumen oder an anderen öffentlichen Orten Speisen, Getränke oder sonstige Genußmittel an Wahlberechtigte unentgeltlich oder zu Scheinpreisen verabreicht oder verabreichen läßt, ist, sofern nicht der Tatbestande der Wahlbestechung (§ 3) vorliegt, mit einer Ordnungsbuße von zehn bis zu zweihundert Kronen zu bestrafen.

§ 5. Wahlnötigung. 1. Der vorsätzlich in der Absicht, einen Wahlberechtigten zur Nichtausübung seines Wahlrechtes oder zu dessen Ausübung in einem bestimmten Sinne zu bewegen, gegen den Wahlberechtigten oder eine diesem nahestehende Person eine Tätlichkeit ausübt, ihnen Nachteile an Körper, Freiheit, Ehre oder an Vermögen oder Einkommen oder Schädigungen in ihrer beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeiten zufügt oder damit droht oder den Wahlberechtigten oder eine diesem nahestehenden Person durch Zufügung oder Androhung anderer für sie empfindlicher Über einschüchtert, wird wegen Vergehens mit strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft.

Unter erschwerenden Umständen, insbesondere wenn der beabsichtigte Erfolg erreicht wurde oder die Tat eine sehr erhebliche wirtschaftliche Schädigung des Wahlberechtigten oder einer ihm nahestehenden Person herbeizuführen geeignet war, ist auf strengen Arrest bis zu einem Jahre zu erkennen.

2. Denselben Strafen unterliegt, wer alsbald nach einer Wahl einem Wahlberechtigten oder einer diesem nahestehenden Person vorsätzlich eine Tätlichkeit oder Nachteile oder Schädigungen der in Absatz 1 bezeichneten Art deswegen zufügt, weil der Wahlberechtigte einem vom ersten vor der Wahl auf ihn ausgeübten Einflusse zuwider gewählt hat.

§ 6. Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl. Wer vorsätzlich eine falsche Nachricht über Ort oder Zeit der Wahl, über den Rücktritt eines Wahlbewerbers oder über einen andern Umstand, der geeignet ist, Wahlberechtigte von der Ausübung des Wahlrechtes abzuhalten oder sie zur Ausübung des Wahlrechtes in einem bestimmten Sinne zu veranlassen, öffentlich zu einer Zeit verbreitet, da sich die Wahlberechtigten oder ein Teil der Wahlberechtigten vom  wahren Sachverhalte nicht mehr Kenntnis verschaffen können, wird wegen Übertretung mit Arrest von einer Woche bis zu drei Monaten bestraft.

§ 7. Wahlfälschung. Wer vorsätzlich
1. bei einer Wahl die Abstimmung oder deren Ergebnis fälscht,
2. den ihm behufs Einsetzung des Namens des zu Wählenden übergebenen Stimmzettel auftragswidrig ausfüllt, oder
3. durch Erregung eines Irrtums über seine Wahlberechtigung, insbesondere durch Verwendung gefälschter oder verfälschter Wahllegitimationsdokumente, ein Wahlrecht ausübt, das ihm nicht zusteht, oder ein einem anderen zustehendes Wahlrecht ohne dessen Einverständnis ausübt,
wird wegen Vergehens mit Arrest oder strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft.

§ 8. Wahlbehinderung. Wer vorsätzlich
1. in der Absicht, die Ausübung des Wahlrechtes durch einen Wahlberechtigten zu erschweren oder zu verhindern oder sich oder anderen nicht wahlberechtigten Personen die Beteiligung an der Wahl zu ermöglichen, fremde Legitimationskarten, Abstimmungszettel oder andere fremde Wahllegitimationsdokumente widerrechtlich sich aneignet oder an sich bringt oder ihm anvertraute Legitimationsdokumente dem Berechtigten vorenthält oder bewirkt, daß solche Dokumente an eine andere als die darin benannte Person ausgefolgt werden,
2. in der Absicht, die Ausübung des Wahlrechtes in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen, einem Wähler die freie Ausübung seines Wahlrechtes dadurch erschwert, daß er den von der Behörde für den Wähler ausgegebenen Stimmzettel eigenmächtig ausfüllt, oder
3. in der Absicht, die Ausübung des Wahlrechtes zu vereiteln, einen Wahlberechtigten an der Abgabe der Stimme verhindert,
wird wegen Vergehens mit Arrest von einer Woche bis zu drei Monaten bestraft.

§ 9. Unbefugte Ausübung eines Wahlrechtes. Wer vorsätzlich bei einer Wahl gegen die bestehenden Vorschriften
1. das Wahlrecht eines anderen mit dessen Einverständnis ausübt, oder
2. die Ausübung seines Wahlrechtes durch einen anderen veranlaßt oder zuläßt,
wird wegen Übertretung mit Arrest von einer Woche bis zu drei Monaten bestraft.

§ 10. Wahlvereitelung. Wer vorsätzlich in der Absicht, die Feststellung des Wahlergebnisses zu verhindern, die Stimmliste oder die Stimmzettel ganz oder zum Teile beseitigt, verstreut oder unbrauchbar macht, wird wegen Vergehens mit strengem Arrest von einer Woche bis zu sechs Monaten bestraft.

§ 11. Verletzung des Wahlgeheimnisses. Wer vorsätzlich bei einer geheimen Wahl sich durch ein rechtswidriges Mittel Kenntnis über die Abstimmung einzelner Wahlberechtigter verschafft, wird wegen Übertretung mit Arrest von einer Woche bis zu drei Monaten bestraft.

§ 12. Behinderung an der Wahlbewerbung. Wer vorsätzlich in der Absicht, jemanden von der Aufstellung seiner Bewerbung um ein Mandat für eine der in § 2 bezeichneten Vertretungen abzuhalten oder ihn zum Aufgeben seiner Bewerbung zu bewegen, gegen diese Person eine Tätlichkeit ausübt oder ihr eine rechtswidrige Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder an Vermögen oder Einkommen zufügt oder damit droht, wird wegen Vergehens mit Arrest oder strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft.

§ 13. Wahlkommission. Der Wahlkommissär, die Mitglieder einer Wahlkommission und deren Schriftführer sind als Beamte im Sinne des § 101 St.G. anzusehen und genießen in Ausübung ihrer Funktion den durch das Strafgesetz obrigkeitlichen Personen verliehenen Schutz.

§ 14. Verlust des Wahlrechtes und der Wählbarkeit. Die Verurteilung wegen der in den §§ 3, 5, 7, 8 und 10 bezeichneten Vergehen bewirkt, wenn sie bei Wahlen zum Abgeordnetenhause des Reichsrates oder zu den Landtagen begangen wurden, den Verlust des Wahlrechtes und der Wählbarkeit in Bezug auf das Abgeordnetenhaus des Reichsrates, die Landtage und die Gemeinde- und Bezirksvertretungen für die Dauer von sechs Jahren nach dem Ende der Strafe. Dies ist im Urteile auszusprechen.

Mit Ablauf dieser Zeit erlischt auch der in § 8, Z. 6, der Reichsratswahlordnung angeordnete Ausschluß vom Wahlrechte und der Wählbarkeit.

II. Schutz der Versammlungsfreiheit.

§ 15. Vereitelung einer Versammlung. Wer vorsätzlich allein oder in Verbindung mit anderen eine Wählerversammlung, die zum Zwecke der Anhörung von Wahlbewerbern, zu Wahlbesprechungen oder zur Entgegennahme von Rechenschaftsberichten einberufen wurde, oder eine unter das Vereins- oder Versammlungsgesetz fallende, zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten gesetzmäßig einberufene Versammlung durch Verhinderung des Zutrittes zur Teilnahme berechtigter Personen, durch unbefugtes Eindringen, durch Verdrängung der Anwesenden oder der zur Leitung und Ordnung berufenen Personen oder durch gewaltsamen Widerstand gegen die auf den Verlauf der Versammlung bezüglichen formellen Anordnungen dieser Letzteren vereitelt, wird wegen Übertretung mit Arrest von einer Woche bis zu drei Monaten bestraft. Unter erschwerenden Umständen, insbesondere gegen den Anstifter und die Teilnehmer einer von Mehreren in verabredeter Verbindung unternommenen Vereitelung einer Versammlung ist auf strengen Arrest bis zu sechs Monaten zu erkennen.

Bei Versammlungen, die nicht nach dem Vereinsgesetze zu beurteilen sind, gelten als zur Leitung und Ordnung der Versammlung berufene Personen bis zu deren Bestellung durch die Versammlung die Einberufer.

§ 16. Unberechtigte Teilnahme an einer Versammlung. Wer an einer gemäß der Einberufung der Wähler oder auf eine bestimmt abgegrenzte Gruppe von Wählern, auf Mitglieder eines Vereins oder auf geladene Teilnehmer beschränkten Versammlung der in § 15 bezeichneten Art wissentlich unberechtigterweise teilnimmt und die Versammlung ungeachtet der Aufforderung der zur Leitung und Ordnung berufenen Personen nicht verläßt, wird an geld von zehn bis zu zweihundert Kronen bestraft.

III. Schlußbestimmungen.

§ 17. Das Verfahren und die Urteilsfällung über die in diesem Gesetze bestimmten Übertretungen steht den Bezirksgerichten, die Bestrafung der öffentlichen Bewirtung von Wahlberechtigten und der unberechtigten Teilnahme an einer Versammlung (§§ 4 und 16) den politischen Behörden zu.

§ 18. Die Bestimmungen der §§ 3 bis 12 und 14 bis 16 finden auf Handlungen, die vor Beginn der Wirksamkeit dieses Gesetzes vorgenommen wurden, keine Anwendung.

§ 19. Artikel VI. des Gesetzes vom 17. Dezember 1862, R.G.Bl. Nr. 8 vom Jahre 1863, tritt mit Beginn der Wirksamkeit des gegenwärtigen Gesetzes mit der Maßgabe außer Kraft, daß Wahlen, die vor diesem Zeitpunkte stattfanden, ungeachtet des Inkrafttretens des gegenwärtigen Gesetzes nach Artikel VI des eingangs erwähnten Gesetzes zu beurteilen sind.

§ 20. Zugleich mit der Ausschreibung einer Wahl in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates oder in einem Landtag ist dieses gesetz in allen Gemeinden des Wahlbezirkes durch Anschlag öffentlich bekanntzumachen.

Außerdem ist der wesentliche Inhalt des Gesetzes auf der Rückseite der Wahllegitimation abzudrucken.

§ 21. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung  in Wirksamkeit.

In Kraft getreten seit dem 30. Jänner 1907.

    Mit dem Vollzuge des Gesetzes sind Mein Justizminister und Mein Minister des Innern beauftragt.

    Wien, am 26. Jänner 1907.

Franz Joseph

Beck
Klein
Bienerth
 


Quellen: Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1907 Nr. 18
Staatsgrundgesetze der österreichischen Monarchie, k.k. Hof- und Staatsdruckerei
© 2. Januar 2003
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