Allerhöchstes Patent
vom 25. April 1848
Verfassungs-Urkunde des österreichischen Kaiserstaates

Wir Ferdinand der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich ect. ect.

Ueberzeugt, daß die Staats-Institutionen den Fortschritten folgen müssen, welche in der Cultur und Geistes-Entwickelung der Völker eingetreten sind, und stets geneigt, anzuerkennen, daß die Uns anvertrauten Völker unter den Segnungen eines langjährigen Friedens auf der Bahn dieses Fortschreitens nicht zurückgeblieben sind, haben Wir denselben durch Unser Patent vom 15. März 1848 die Ertheilung einer Verfassung zugesichert.

Es gereicht Unserm Herzen zur Beruhigung, indem Wir Unser kaiserliches Wort lösen, die zahlreichen Merkmale treuer Liebe und Anhänglichkeit Unserer geliebten Völker dadurch zu erwidern, daß wir auf eine feierliche Weise Unsere Sorgfalt für ihr Wohl und Unser Betreben an den Tag legen, ihren Rechtszustand zu sichern, und ihnen eine, ihre Interessen sichernde Theilnahme an der Regelung der Angelegenheiten des Vaterlandes einzuräumen.

In dieser Erwägung haben Wir nach den Anträgen Unseres Ministerrathes und nach sorgfältiger Prüfung derselben beschlossen, die beygefügte Verfassungsurkunde für die in derselben bezeichneten Länder zu ertheilen, welche Wir unter den gemeinsamen Schutz aller zu Unserem Reiche gehörigen Völker mit der festen Zuversicht stellen, daß dadurch das Band des Vertrauens zwischen dem Throne und dem Volke, und die seit Jahrhunderten bestehenden Vereinigung der zur Monarchie gehörigen Reiche zu ihrem gemeinsamen Wohle noch inniger verschlungen werden wird.

Wir verordnen daher, daß die in dieser Verfassungsurkunde enthaltenen Bestimmungen allen unseren Unterthanen ohne Ausnahme, so wie allen geistlichen, Civil- und Militär-Autoritäten zur unverbrüchlichen Richtschnur zu dienen haben.

Wir behalten Uns vor, demnächst die Vertreter aller Provinzen in Folge eines provisorisch zu ertheilenden Wahlgesetzes wählen zu lassen, und zu dem abzuhaltenden Reichstage einzuberufen.

Gegeben in Unserer kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien den fünf und zwanzigsten April im Eintausend achthundert acht und vierzigsten, Unserer Reiche im vierzehnten Jahre.

Ferdinand

Ficquelmont, Minister des Aeußeren und provisorischer Präsident
Pillersdorff, Minister des Inneren
Sommaruga, Minister des Unterrichtes
Krauß, Finanzminister
Zanini, Kriegsminister

Verfassungsurkunde des österreichischen Kaiserstaates

vom 25. April 1848

geändert durch die Proclamation vom 16. Mai 1848

I.
Allgemeine Bestimmungen

§ 1. Sämmtliche zum österreichischen Kaiserstaate gehörende Länder bilden eine untrennbare constitutionelle Monarchie.

§ 2. Die Verfassungsurkunde hat auf folgende Länder des Kaiserreiches Anwendung, nähmlich: auf die Königreiche Böhmen, Galizien, Lodomerien mit Auschwitz und Zator und der Bucowina, Illyrien (bestehend aus den Herzogthümern Kärnthen und Krain und dem Gubernial-Gebiete des Küstenlandes), auf das Königreich Dalmatien, auf das Erzherzogthum Oesterreich ob und unter der Enns, die Herzogthümer Salzburg, Steiermark, Ober- und Nieder-Schlesien, das Markgrafthum Mähren, die gefürstete Grafschaft Tyrol mit Vorarlberg.

§ 3. Die Gebiethseintheilung der einzelnen Provinzen bleibt in ihrer gegenwärtigen Ausdehnung unberührt, und kann nur durch ein Gesetz abgeändert werden.

§ 4. Allen Volksstämmen ist die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet.

§ 5. Die Krone ist nach dem Grundsatze der pragmatischen Sanction vom 19. April 1713 in dem Hause Habsburg-Lothringen erblich.

§ 6. Der Thronfolger ist nach dem zurückgelegten achtzehnten Jahre volljährig.

§ 7. Für den Fall seiner Minderjährigkeit, oder der Unfähigkeit zur Selbstregierung wird eine Regentschaft nach einem besondern Gesetze bestellt.

II.
Der Kaiser

§ 8. Die Person des Kaisers ist geheiligt und unverletzlich. Er ist für die Ausübung der Regierungsgewalt unverantwortlich; seine Anordnungen bedürfen aber zur vollen Giltigkeit der Mitfertigung eines verantwortlichen Ministers.

§ 9. Der Kaiser legt bey Eröffnung des ersten Reichstages und jeder Nachfolger unmittelbar nach seinem Regierungsantritte den Eid auf die Verfassungsurkunde ab.

§ 10. Dem Kaiser gebührt die vollziehende Gewalt allein, und er übt die gesetzgebende Gewalt im Vereine mit dem Reichstage aus.

§ 11. Er besetzt alle Staatsämter, verleiht alle Würden, Orden und Adelsgrade, führt den Oberbefehl und verfügt über die Land- und Seemacht.

§ 12. Er erklärt Krieg und schließt Frieden und Verträge mit fremden Regierungen.

Alle Verträge mit fremden Staaten bedürfen der nachträglichen Genehmigung des Reichstages.

§ 13. Dem Kaiser steht die Belohnung ausgezeichneter Verdienste zu, er hat das Recht der Begnadigung und Strafmilderung, welches jedoch bei verurtheilten Ministern von dem Einschreiten einer der beyden Kammern des Reichstages abhängig ist.

§ 14. Alle Rechtspflege geht vom Kaiser aus, und wird in seinem Namen ausgeübt.

§ 15. Im Reichstage hat der Kaiser das Recht zum Vorschlage von Gesetzen, die Sanction aller Gesetze steht im allein zu.

§ 16. Er beruft jährlich den Reichstag und kann ihn vertagen oder auflösen, in welchem Falle unter Einhaltung der Frist von neunzig Tagen ein neuer Reichstag einberufen wird.

In dem Falle des Ablebens des Kaisers hat sich der Reichstag inner der Frist von vier Wochen zu versammeln.

III.
Staatsbürgerliche und politische Rechte der Staatseinwohner

§ 17. Allen Staatsbürgern ist die volle Glaubens- und Gewissens- so wie die persönliche Freyheit gewährleistet.

§ 18. Niemand kann anders als in Befolgung der gesetzlichen Form, mit Ausnahme der Anhaltung auf der That, verhaftet werden.

Binnen 24 Stunden nach der Gefangennehmung muß jeder Verhaftete über den Grund seiner Verhaftung gehört, und seinem Richter zugewiesen werden. Hausdurchsuchungen können nur in den Fällen und in der Form, welche das Gesetz vorausbezeichnet, vorgenommen werden.

§ 19. Die Freyheit der Rede und  Presse ist nach vollkommener Auflassung der Censur durch die Verfassungsurkunde gesichert. Die Bestrafung der Mißbräuche wird durch ein von dem ersten Reichstage zu erlassendes Gesetz geregelt werden.

§ 20. Das Briefgeheimnis ist unverletzlich.

§ 21. Die im §. 17 bis 20 bezeichneten Freyheiten genießen auch die Fremden, welche noch keine staatsbürgerlichen Rechte erworben haben.

§ 22. Das Petitionsrecht und das Recht zur Bildung von Vereinen steht allen Staatsbürgern zu. Besondere Gesetze werden die Ausübung dieser Rechte regeln.

§ 23. Die Freyheit der Auswanderung darf von den Behörden kein Hinderniß in den Weg gelegt werden.

§ 24. Jeder Staatsbürger kann Grundbesitzer werden, jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ergreifen, und zu allen Aemtern und Würden gelangen.

§ 25. Die Wirksamkeit des Gesetzes ist gleich für alle Staatsbürger, sie genießen einen gleichen persönlichen Gerichtsstand, unterliegen der gleichen Wehr- und Steuerverpflichtung, und keiner kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden.

§ 26. Der Gerichtsstand für das Militär bleibt bis zum Erscheinen eines besondern Gesetzes unverändert.

§ 27. Die Beseitigung der, in einigen Theilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religions-Confessionen, so wie die Aufhebung der, der Erwerbung aller Arten von Grundbesitz noch entgegenstehenden Beschränkungen werden den Gegenstand, dem ersten Reichstage vorzulegender Gesetzesvorschläge bilden.

§ 28. Die Richter können nur durch ein Erkenntniß der Gerichtsbehörden entlassen, im Dienste zurückgesetzt, oder gegen ihren Wunsch an einen andern Dienstort oder in Ruhestand versetzt werden.

§ 29. Die Rechtspflege wird durch öffentliches mündliches Verfahren ausgeübt.

Für die Strafgerichtspflege werden Schwurgerichte eingeführt, deren Errichtung ein besonderes Gesetz bestimmen wird.

§ 30. Aenderungen in der Einrichtung der Gerichtshöfe können nur durch ein Gesetz eingeführt werden.

§ 31. Allen in der Monarchie durch die Gesetze anerkannten christlichen Glaubensbekenntnissen und dem israelitischen Cultus ist die freye Ausübung des Gottesdienstes gesichert.

IV.
Die Minister

§ 32. Die Minister sind für alle Handlungen und Anträge in ihrer Amtsführung verantwortlich.

§ 33. Diese Verantwortlichkeit, so wie die Bestimmung der anklagenden und richtenden Behörde wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.

V.
Der Reichstag

§ 34. Der Reichstag, welcher im Vereine mit dem Kaiser die gesetzgebende Gewalt ausübt, ist in zwey Kammern, den Senat und die Kammer der Abgeordneten, getheilt. Die Dauer des Reichstages wird auf fünf Jahre mit jährlicher Einberufung desselben festgesetzt.

§ 35. Der Senat besteht:
a) aus Prinzen des kaiserlichen Hauses nach vollendetem 24. Jahre;
b) aus den von dem Kaiser ohne Rücksicht auf Stand und Geburt für ihre Lebensdauer ernannten Mitglieder;
c) aus hundertfünfzig Mitgliedern, welche von den bedeutendsten Grundbesitzern für die ganze Dauer der Wahlperiode aus ihrer Mitte gewählt werden.

§ 36. Die Kammer der Abgeordneten besteht aus dreyhundert drey und achtzig Mitgliedern.

Die Wahl sämmtlicher Mitglieder der Kammer der Abgeordneten beruht auf der Volkszahl und auf der Vertretung aller staatsbürgerlicher Interessen.

§ 37. Die Wahlen der Mitglieder beyder Kammern werden für den ersten Reichstag nach einer provisorischen Wahlordnung vorgenommen.

§ 38. Das definitive Wahlgesetz wird von dem versammelten Reichstage beschlossen und darin auch die Bestimmungen über die den Abgeordneten der zweyten Kammer zu gewährenden Entschädigungen ausgesprochen werden.

§ 39. Jede Kammer erwählt ihre Präsidenten und übrigen Functionäre, ihr allein steht die Prüfung und Entscheidung über die Giltigkeit der Wahlen zu.

§ 40. Die Mitglieder beyder Kammern können ihr Stimmrecht nur persönlich ausüben, und dürfen von ihren Committenten keine Instructionen annehmen.

§ 41. Die Sitzungen beyder Kammern sind öffentlich; eine Ausnahme davon kann nur durch Beschluß der Kammer Statt finden, welche darüber auf Verlangen von zehn Mitgliedern oder dem Präsidenten in geheimer Sitzung entscheidet.

§ 42. Kein Kammer-Mitglied kann während des Reichstages ohne ausdrückliche Zustimmung der Kammer, welcher es angehört, den Fall der Ergreifung auf der That ausgenommen, gerichtlich verfolgt oder verhaftet werden.

§ 43. Ein Kammer-Mitglied, welches eine vom Staate besoldete Dienststelle annimmt, hat sich einer neuen Wahl zu unterziehen; die Regierung wird keinem gewählten Mitgliede den Eintritt in die Kammern verweigern.

§ 44. Die Kammern versammeln sich nur über Einberufung des Kaisers, und haben nach erfolgter Auflösung oder Vertagung keine Geschäfte zu verhandeln.

VI.
Wirksamkeit des Reichstages.

§ 45. Alle Gesetze bedürfen der Zustimmung beyder Kammern und der Sanktion des Kaisers.

§ 46. Beym ersten abzuhaltenden Reichstage und nach jedem neuen Regierungsantritte wird die Civilliste des Kaisers für seine ganze Regierungsdauer festgesetzt.

Appanagen und Ausstattungen für die Mitglieder des Kaiserhauses werden von Fall zu Fall dem Reichstage zur Schlußfassung vorgelegt.

§ 47. Die jährlichen Bewilligungen zur Ergänzung des stehenden Heeres, die Bewilligung zur Erhebung von Steuern und Abgaben, die Contrahirung von Staatsschulden, die Veräußerung von Staatsgütern, die Prüfung und Feststellung des jährlichen Voranschlages der Staats-Einnahmen und Ausgaben und des jährlichen Gebahrungs-Abschlusses kann nur durch ein Gesetz erfolgen.

Diese Gesetzesvorschläge sind zuerst bey der Kammer der Abgeordneten einzubringen.

§ 48. Beyde Kammern können Gesetzvorschläge machen, oder unter Nachweisung der Gründe bey der Regierung auf die Vorlage eines Gesetzentwurfes antragen. sie können Petitionen annehmen und zur Verhandlung bringen; jedoch dürfen solche Petitionen von Privaten und Corporationen nicht persönlich überreicht, sondern sie müssen durch ein Mitglied der Kammer vorgelegt werden.

§ 49. Zur Giltigkeit eines Beschlusses ist in jeder Kammer die Anwesenheit von wenigstens dreißig in dem Senate und von sechzig in der zweyten Kammer erforderlich.

§ 50. Gesetzesvorschläge, durch welche die Bestimmungen der Verfassungsurkunde ergänzt, erläutert oder abgeändert werden sollen, bedürfen in jeder der beyden Kammern die Zustimmung von zwey Drittheilen der anwesenden Mitglieder.

§ 51. Bey allen anderen Gesetzesvorschlägen genügt die absolute Stimmenmehrheit.

§ 52. In beyden Kammern wird die Regierung durch die verantwortlichen Minister oder von ihrem, den Kammern zu bezeichnenden Regierungs-Commissäre vertreten. Entscheidende Stimme steht beyden aber nur dann zu, wenn sie Mitglieder der Kammern sind.

§ 53. Ein besonderes von jeder Kammer zu beschließendes Reglement wird die Geschäftsordnung für dieselben festsetzen, bis zu dessen Zustandebringen wird ein provisorisches Reglement für jede der beyden Kammern von der Regierung erlassen.

VII.
Provinzial-Stände

§ 54. In den einzelnen Ländern haben Provinzial-Stände zur Wahrnehmung der Provinzial-Interessen und zur Besorgung der für diese Interessen sich ergebenden Erfordernisse, so weit solche nicht unter den allgemeinen Staats-Erfordernissen begriffen sind, zu bestehen. Den bisherige Provinizial-Ständen wird, insoferne die Verfassungsurkunde keine Aenderung enthält, ihre Einrichtung und Wirksamkeit erhalten.

§ 55. Eine der ersten Aufgaben des Reichstages wird es seyn, die Prüfung und Würdigung der, von den Provinzial-Ständen vorzulegenden zeitgemäßen Aenderungen ihrer bisherigen Verfassungen und der Vorschläge über die Art der Ersatzleistung der ablösbar erklärten Grundlasten in Verhandlung zu nehmen.

§ 56. Zur Wahrnehmung der besonderen Interessen der Kreise und Bezirke in jeder Provinz wird die Gesetzgebung eigene Municipal-Einrichtungen festsetzen.

§ 57. Die Gemeinde-Verfassungen sind nach dem Grundsatze zu ordnen, daß in denselben alle Interessen der Gemeinde und ihrer Glieder vertreten werden.

§ 58. In dem ganzen Umfange der Monarchie wird die Nationalgarde nach den, durch ein besonderes Gesetz zu regelnden Normen errichtet, bleibt jedoch der Civil-Autorität und den Civilgerichten untergeordnet.

§ 59. Die Nationalgarde und sämmtliche Beamte leisten dem Kaiser auf die Verfassung den Eid.

Der Eid der Armee auf die Verfassung wird in den Fahneneid aufgenommen.

Gegeben in Unserer kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien den fünf und zwanzigsten April im Eintausend achthundert acht und vierzigsten, Unserer Reiche im vierzehnten Jahre.

Ferdinand

Ficquelmont, Minister des Aeußeren und provisorischer Präsident
Pillersdorff, Minister des Inneren
Sommaruga, Minister des Unterrichtes
Krauß, Finanzminister
Zanini, Kriegsminister
 

Proclamation
Erklärung des ersten Reichstages als einen constituirenden nur mit einer Kammer und angeordnete Abänderung der früheren Wahlordnung

vom 16. May 1848

Zur Beruhigung der am 15. May 1848 in Unserer Residenzstadt Wien entstandenen Aufregung und zur Verhüthung gewaltsamer Ruhestörungen, wurde von Unserem Ministerrathe die Zurücknahme des für Unsere Nationalgarde am 13. May 1848 erlassenen Tagesbefehles in Betreff der Vorgänge des politischen Central-Comité's beschlossen, und ebenso wurde bereits den von der Nationalgarde gestellten zwey Bitten die Gewährung zugesagt, daß nähmlich die Stadtthore und die Burgwache gemeinschaftlich von dem Militär und der Nationalgarde nach allen ihren Abtheilungen besetzt werden sollen, und daß das Militär nur in jenen Fällen des erforderlichen Beystandes herbeyzurufen sey, wo die Nationalgarde selbst es ansucht.

Diesen Beschlüssen fügen wir noch, um alle übrigen Anlässe zu Mißvergnügen und Aufregung zu beseitigen, nach dem einrathen Unseres Ministerrathes die weitere Bestimmung bey, daß die Verfassung vom 25. April 1848 vorläufig der Berathung des Reichstages unterzogen werden soll, und die Anordnungen des Wahlgesetzes, welche Bedenken hervorgerufen haben, in einer neuerlichen Prüfung zu erwägen seyen.

Damit die Feststellung der Verfassung durch die constituirende Reichsversammlung auf die zuverlässigste Weise bewirkt werde, haben Wir beschlossen, für den ersten Reichstag nur Eine Kammer wählen zu lassen, wornach also für die Wahlen gar kein Census bestehen und jeder Zweifel einer unvollkommenen Volksvertretung entfallen wird.

Wir hegen hiernach die Zuversicht, daß alle Classen der Staatsbürger mit Ruhe und Vertrauen der baldigen Eröffnung des Reichstages entgegen sehen werden.

Wien am 16. May 1848

Ferdinand

Pillersdorff, Minister des Innern und provisorischer Präsident
Sommaruga, Minister der Justiz und des Unterrichtes
Krauß, Finanzminister
Latour, Kriegsminister
Dohlhoff, Minister des Handels
Baumgartner, Minister der öffentlichen Arbeiten

Die Pillersdorff'sche Verfassung, die erste Verfassungsurkunde Österreichs, war durch die Proclamation vom 16. Mai 1848 nichts anderes als ein Regierungsentwurf zu einer Verfassungs-Urkunde. Der am 22. Juli 1848 in Wien erstmals zusammentretende, aus einer Kammer bestehende Reichstag hat diese zwar als Grundlage genommen, doch durch die zweite Welle der Revolution ab Oktober 1848 tagte sie im mährischen Kremsier, der sog. "Kremsier Entwurf" jedoch ist dieser wesentlich umfangreicher und fortschrittlicher als der Regierungsentwurf.
 


Quellen: Fischer / Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition 1970
© 27. Dezember  2001
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