Gesetz
vom 14. November 1918
betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern

Die Provisorische Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich hat beschlossen:

§ 1. An Stelle der bisherigen Landtage, deren Bestand auf Grund des Kaiserlichen Patentes vom 26. Februar 1861, R. G. Bl. Nr. 20, durch Landesordnungen und die hierzu erlassenen abändernden und ergänzenden Vorschriften geregelt ist, treten in Deutschösterreich bis zum Inkrafttreten neuer, durch Gesetz erlassener Landesordnungen die provisorischen Landesversammlungen.

Provisorische Landesversammlungen wurden in den Kronländern Kärnten, Österreich unter der Enns, Österreich ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg, Sudetenland, Deutsch-Böhmen aufgrund der Reichstags-Wahlergebnisse von 1911 in den Ländern gebildet.

§ 2. An Stelle der bisherigen Landesausschüsse treten die von den provisorischen Landesversammlungen gewählten "Landesräte". Ihre Mitglieder führen den Titel "Landesräte".

§ 3. Jede provisorische Landesversammlung wählt aus ihrer Mitte mit Stimmenmehrheit den Landeshauptmann und durch Verhältniswahlen zwei bis vier Stellvertreter.

Der Landeshauptmann und seine Stellvertreter führen in der provisorischen Landesversammlung den Vorsitz und leiten deren Verhandlungen sowie die Amtsführung des Landesrates.

§ 4. Der Landeshauptmann und seine Stellvertreter bilden die "Landesregierung".

Die Landesregierung übernimmt alle Amtsgeschäfte, die durch die geltenden Gesetze dem Landeschef (§ 2 des Gesetzes vom 19. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 44) übertragen sind.

Jene Amtsgeschäfte des Landeschefs, die zum Wirkungskreise des Finanzministeriums gehören, werden durch einen vom Landesrate mit Genehmigung des Staatsrates eigens hierzu berufenen Stellvertreter des Landeshauptmannes versehen.

Der Landesregierung untersteht die bisherige Landesbehörde (Statthalterei oder Landesregierung). Die k. k. Statthalter und k. k. Landespräsidenten werden abberufen.

§ 5. Der Landeshauptmann ist Vorsitzender der Landesregierung. Ihm obliegt auch die Vertretung des Staates und der Staatsregierung gegenüber den Landesbewohnern.

Der Landesrat hat zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Dienstesbetriebes und zur einheitlichen Handhabung der Dienstaufsicht ein Organ unter dem Titel Landesamtsdirektor zu ernennen, der, dem Landeshauptmann persönlich zugeteilt, der unmittelbare Vorgesetzte sämtlicher Beamten und Diener des Landesrates und der Landesregierung ist. Der Landesamtsdirektor ist das oberste Vollzugsorgan der Landesregierung. Der Wirkungskreis des Landesamtsdirektors erstreckt sich jedoch nicht auf die in § 4, Absatz 3, bezeichneten Angelegenheiten der Finanzverwaltung.

Welche Angelegenheiten dem Landeshauptmann zur persönlichen Erledigung vorbehalten bleiben müssen, wird durch Vollzugsanweisung des Staatsrates festgesetzt.

§ 6. Der Landeshauptmann leistet einem der Präsidenten des Staatsrates in Gegenwart der übrigen Mitglieder des geschäftsführenden Staatsdirektoriums die Angelobung auf den deutschösterreichischen Staat. Er nimmt die Mitglieder des Landesrates, sowie die Beamten und Bediensteten bei den ihm nachgeordneten Behörden und Ämtern in Eid und Pflicht.

§ 7. Die Amtsgebäude, die Beamten und Diener sowie die Amtseinrichtungen der bisherigen Landesbehörden gehen auf die neuen Landesregierung über.

§ 8. Die Landesregierung ist bei ihrer gesamten Amtsführung an die Dienstesanweisungen der deutschösterreichischen Staatsregierung gebunden und dieser verantwortlich.

§ 9. Die Teilung der öffentlichen Verwaltung in landesfürstliche und autonome ist aufgehoben.

Bis zur Durchführung der entsprechenden Verwaltungsreform bleiben die Geschäfte des Landesrates und der Landesregierung voneinander getrennt. Der Landeshauptmann kann jedoch verfügen, daß Amtsabteilungen des Landesrates und der Landesregierung, die mit derselben Sache befaßt sind, unmittelbar zusammenarbeiten.

§ 10. Sowohl die Beamten des ehemaligen Landesausschusses als auch die Beamten der ehemaligen Statthaltereien und Landesregierungen haben den Charakter von Staatsbeamten. Ihr Dienst ist Staatsdienst. Bis zum Vollzuge der Verwaltungsreform tritt im bestehenden Dienstverhältnis und in den Dienstbezügen keine Änderung ein und führen die ehemaligen Landesbeamten die Bezeichnung "Beamte des Landesrates" und die landesfürstlichen Beamten die Bezeichnung "Beamte der Landesregierung". Die ersteren ernennt der Landesrat, die letzteren die Landesregierung.

Die Landesregierung hat jene Amtsbezeichnungen ehemaliger Landesbeamter, die mit dem Titel der Mitglieder des Landesrates oder mit anderen Vorschriften dieses Gesetzes in Widerspruch stehen, entsprechend zu ändern.

§ 11. Bis auf weiteres bleiben die bestehenden Lokalgewalten aufrecht. Änderungen im Dienstkreise der politischen Bezirksbehörden sowie der Bezirks- und Gemeindevertretungen sind einer besonderen, als Rahmengesetz zu erlassenden "Kreis-, Bezirks- und Gemeindeordnung für Deutschösterreich" vorbehalten.

§ 12. Aufgehoben sind die Vorschriften der geltenden Landesordnungen:
    wonach kein Landtag mit einer anderen Landesvertretung in Verkehr treten darf.
    wonach Abordnungen in die Versammlungen des Landtages nicht zugelassen und Bittschriften vom Landtage nur angenommen werden dürfen, wenn sie durch ein Mitglied überreicht werden.

§ 13. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Kundmachung in Kraft.

§ 14. Mit dem Vollzug dieses Gesetzes ist der Staatssekretär des Innern betraut.
 

Auf Grund des § 7 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt wird beurkundet, daß der obenstehende Beschluß von der Provisorischen Nationalversammlung am 14. November 1918 gefaßt worden ist.

Der Präsident
Seitz

Der Staatskanzler
Renner

Der Staatsnotar
Sylvester
 


Quellen: Staatsgesetzblatt für die Republik Deutschösterreich, Jg. 1918, Nr. 24
© 24. April 2006

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