teilweise geändert bzw. bekräftigt durch
Entscheidung des Völkerbundrates vom 19. September 1922,
Vereinbarung der beiden Vertragschließenden Staaten vom 22. November 1922,
Übereinkommen betreffend die Regelung der durch die Grenzziehung aufgeworfenen
rechtlichen Fragen vom 11. März 1927 (BGBl. Nr. 93/1928),
Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik vom
31. Oktober 1964 (BGBl. Nr. 72/1965).
Entsprechend dem Mediationsangebot Seiner Excellenz des italienischen Ministers des Äußern, Marquis della Torretta, welches durch die Entscheidung der Botschafterkonferenz in Paris gutgeheißen und von den Regierungen Österreichs und Ungarns angenommen wurde, haben sich die Bevollmächtigten der beiden Regierungen am 11. und 12. Oktober 1921 in Venedig versammelt, um einvernehmlich die Fragen bezüglich der Gebiete Westungarns zu regeln, die Österreich in den Friedensverträgen von Saint-Germain und Trianon zugesprochen worden sind.
Österreich war vertreten durch den Bundeskanzler und Leiter des Bundesministeriums für Äußeres, Herrn Johann Schober;
Ungarn durch Seine Excellenz den Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stephan Bethlen und Seine Exzellenz den Herrn königl. Minister des Äußern, Grafen Nikolaus Bánffy.
Nachdem die genannten Vertreter unter dem Vorsitze Seiner Excellenz des Marquis della Torretta eine genaue Prüfung der Frage vorgenommen hatten, haben sie sich über folgende Maßnahmen geeinigt, diese für notwendig gefunden haben, um die friedliche Übertragung des in Rede stehenden Gebiets an Österreich zu sichern.
I. Die von der königl. ungarischen Regierung zur Pazifizierung Westungarn durchzuführenden Maßnahmen:
Es wird der Bevölkerung durch Maueranschlag im ganzen Lande kundgemacht, daß in Venedig ein gerechter Ausgleich zustande gekommen ist und daß alle Ungarn aufgefordert werden, es als ihre oberste patriotische Pflicht anzusehen, daß sie diesen Ausgleich respektieren und der Regierung die Aufgabe erleichtern, die von ihr angenommenen Bedingungen zu erfüllen.
In diesem Aufrufe ergehen ferner unter Androhung der strengsten Strafen an die Aufständischen die Aufforderung, die Waffen unverzüglich niederzulegen und an die in Westungarn nicht zuständigen Personen die Mahnung, das Land sofort zu verlassen.
Die Presse erhält die entsprechenden Weisungen, ihre Haltung zufolge der Mitteilungen, die an sie über die in Venedig erzielte Einigung ergehen werden, zu ändern.
Die ungarische Regierung wird weiters ein Dekret veröffentlichen, demzufolge alle ihre Beamten und Offiziere ohne Unterschied, ob sie sich in Aktivität befinden oder pensioniert sind, sich den schwersten im Gesetze vorgesehenen Folgen aussetzen, wenn sie der vorerwähnten Aufforderung nicht in einem Zeitraum von zehn Tagen entsprechen. Für die während des Aufstandes begangenen Gesetzwidrigkeiten wird allen jenen Personen, die sich der erwähnten Aufforderung unterwerfen, eine Amnestie zugesagt werden, von welcher gemeine Verbrechen ausgenommen sind.
Durch Dekret wird verfügt, daß die Studierenden, die sich an der Aufstandsbewegung beteiligt haben, sich binnen zehn Tagen an ihrer Fakultät oder Schule einzufinden haben. Die Studenten, welche dieser Aufforderung nicht entsprechen, verlieren ihre Semester.
Durch Dekret wird verfügt, daß alle jene Personen, welche die den Aufständischen bisher gewährte Unterstützung in Geld oder Material nicht einstellen, nach den Bestimmungen des ungarischen Strafgesetzes über unbefugte Werbung bestraft werden sollen.
Die Garnisonen, welche gegenwärtig den Kordon bilden, werden teilweise ausgewechselt werden.
Für die Durchführung der vorerwähnten Maßnahmen ist eine Frist von mindestens drei Wochen zugestanden; jedoch können die alliierten Generale, falls ihnen dies möglich erscheint, diese Frist abkürzen.
Alle auf die Pazifizierung bezüglichen Maßnahmen müssen im Einvernehmen mit der Generalskommission getroffen werden.
Im allgemeinen erklärt die ungarische Regierung, nach Maßgabe der ihr zur Verfügung stehenden Mittel bereit zu sein, sich den Wünschen der alliierten Hauptmächte zu fügen. Die ungarische Regierung erkennt den Grundsatz an, daß alle von alliierten Regierungen verfügten Maßnahmen zur Pazifizierung die Durchführung des Friedensvertrages im Auge haben und daher von der ungarischen Regierung nicht als feindselige Akte angesehen werden können. Die Vertreter der Entente in Budapest und die Generalskommission in Ödenburg werden darüber wachen, daß die Maßnahmen in wirksamster und raschester Weise zur Anwendung gebracht werden, indem sie namentlich den Geist der vorerwähnten Maßnahmen berücksichtigen werden.
II. Sobald das in Rede stehende Gebiet von den Banden gesäubert sein wird, soll es in voller Ruhe und Sicherheit von Österreich besetzt und in Besitz genommen werden.
Es wird der Kommission der alliierten Generale in Ödenburg obliegen, festzustellen, daß diese Pazifizierung durchgeführt ist und daß demzufolge Österreich zur vorerwähnten Besitznahme des Landes schreiten kann.
Die alliierte Generalskommission in Ödenburg, der zu diesem Behufe je ein Vertreter Österreichs und Ungarns beigegeben werden, hat die Verwaltungsgerechtsame auszuüben.
Der italienische Minister des Äußern wird die zur Entsendung von Ententetruppen nach Ödenburg notwendigen Schritte unternehmen.
Acht Tage, nachdem die alliierte Generalskommission konstatiert haben wird, daß sich das Land im Zustande völliger Ruhe befindet, wird in der Stadt Ödenburg und Umgebung eine Volksbefragung erfolgen.
Es wird der Generalskommisison obliegen, die Modalitäten festzusetzen, damit das Plebiszit in der einfachsten und raschesten Weise durchgeführt werden könne; zu diesem Zwecke wird sich die Kommission schon jetzt mit den notwendigen Vorkehrungen befassen.
Die Volksabstimmung in der Stadt Ödenburg wird jener in der Umgebung vorausgehen, jedoch wird nur die Zusammenfassung beider Abstimmungen für das Gesamtergebnis der Volksbefragung maßgebend sein.
Das Gebiet, in
dem die Volksbefragung stattzufinden hat, ist folgendermaßen abgegrenzt:
Eine Linie, ausgehend vom Neusiedlersee (Fertö) an dem
Punkte, wo die nördliche Gemeindegrenze der Gemeinde Kroisbach (Fertö Rákos) den
See erreicht.
Von diesem Punkte an folgt die Grenzlinie des der
Volksabstimmung unterworfenen Gebietes der bezeichneten Gemeindegrenze bis zu
dem Punkte, wo diese die Gemeindegrenze von Ödenburg (Sopron) erreicht und geht
auf dieser Linie weiter bis zu dem Punkte, wo die Gemeindegrenze die nördliche
Gemeindegrenze der Gemeinde Agendorf (Agfalca) erreicht, verfolgt diese
nördliche Linie bis zu dem Punkte, wo sie von neuem mit der Gemeindegrenze der
Stadt Ödenburg (Sopron) zusammentrifft; von diesem Punkte an folgt die Grenze
des der Volksabstimmung unterworfenen Gebietes der Grenze von Ödenburg (Sopron)
bis zu dem Punkte, wo sie die südliche Grenzlinie der Gemeinde Harkau (Harka)
erreicht und folgt dieser bis zur Vereinigung der südlichen Gemeindegrenze von
Kohlenhof (Kopháza) bis zu dem Punkte, wo diese letztere die westliche
Gemeindegrenze von Zinkendorf (Nagy Czenk) erreich, welcher sie bis zu dem
Punkte folgt, wo sie mit der durch den Friedensvertrag von Trianon bestimmten
Grenze zusammentrifft. Von diesem Punkte an folgt die Grenzlinie der Trianoner
Linie bis zu dem Punkte, wo letztere den Neusiedlersee (Fertö) erreicht.
Österreich und Ungarn verpflichten sich, das Ergebnis der Volksabstimmung anzuerkennen.
Acht Tage nach der Verkündung des Ergebnisses der Volksabstimmung findet die Übergabe des Gebietes an denjenigen Staat, dem es zufällt, statt.
Ungarn erkennt im Prinzipe seine Ersatzpflicht für die Österreich durch die Verzögerung der Übergabe Westungarn erwachsenen Schäden aller Art an.
Die Festsetzung der Details dieser Schäden und die Regelung der anderen auf Westungarn Bezug habenden, bisher in Schwebe gebliebenen finanziellen Fragen, haben durch gemeinsames Übereinkommen binnen 14 Tagen nach Übergabe der in Rede stehenden Gebiete durchgeführt zu werden.
Kommt es binnen einer neuerlichen Frist von 14 Tagen zu keiner Einigung, so werden diese Fragen einem Schiedsgerichte, das in Gemäßheit der im Artikel 239 des Trianoner Vertrages und dem entsprechenden Artikel des Vertrages von Saint-Germain vorgesehenen Bestimmungen gebildet werden soll, vorgelegt werden.
Im Hinblicke auf die tunlichste Beschleunigung der Arbeiten der interalliierten Abgrenzungskommission für die österreichisch-ungarische Grenze wird der italienische Minister des Äußern zu diesem Zwecke die nötigen Schritte bei der Botschafterkonferenz unternehmen.
Österreich verpflichtet sich, den Entscheidungen dieser Kommission nach Tunlichkeit zuzustimmen. Im Falle jedoch, als Österreich sich genötigt sehen sollte, gegen diese Entscheidung zu appellieren, erklärt es, die Entscheidung anzunehmen, welche vom Völkerbundrate anempfohlen werden wird.
Kein Bewohner des von Ungarn an Österreich abgetretenen Gebietes wird mit Rücksicht auf seine politische Haltung bis zum Augenblicke der tatsächlichen Übergabe des fraglichen Gebietes verfolgt oder belästigt werden dürfen.
Von Erwägungen der Menschlichkeit ausgehend, verpflichtet sich die österreichische Regierung im Prinzipe, die zum Zeitpunkte der tatsächlichen Übergabe im abgetretenen Gebiete diensttuenden Beamten nicht in Massen und aus politischen Rücksichten zu entlassen. Sie wird die Beibehaltung der Beamten in ihren gegenwärtigen Funktionen vom Ergebnisse der Prüfung jedes einzelnen Falles abhängig machen.
Die österreichische Regierung erkennt im Prinzipe die Verpflichtung an, die diesen Beamten zukommenden Pensionen zu übernehmen; die bezüglichen Detailbestimmungen werden durch ein spezielles Abkommen zwischen den beiden Regierungen geregelt werden.
Über Vorstehendes einig geworden, verpflichten sich die bevollmächtigten Vertreter Österreichs und Ungarn, ihren ganzen Einfluß aufzubieten, damit die obenerwähnten Bestimmungen gemäß den konstitutionellen Gesetzen ihrer Länder in Wirksamkeit treten.
Torretta m. p.
Bethlen m. p.
Schober m. p.
Bánffy m. p.