(R.G.Bl. 20/1861)
sistiert durch
das Kaiserliche Patent vom 20.
September 1865 ("Sistierungspatent" R.G.Bl. 89/1865)
wieder in Kraft gesetzt durch
Kaiserliches Patent vom 2. Januar 1867 (RGBl. 1/1867, teilweise)
Allerhöchste Entschließung vom 4. Februar 1867 (nicht kundgemacht)
Kaiserliches Patent vom 20. April 1867 (RGBl. 67/1867)
geändert durch
Gesetz vom 16. Juli 1867, betreffend die
Entsendung einer Deputation des Reichsrathes zur Verhandlung mit dem ungarischen
Reichstage (RGBl. 97/1867
Gesetz vom 16. Juli 1867 (RGBl. 98/1867)
neugefaßt durch Gesetz vom 21. Dezember 1867 (R.G.Bl. 141/1867)
§ 1. Zur Reichsvertretung ist der Reichsrath berufen.
Der Reichsrath besteht aus dem Herrenhause und dem Hause der Abgeordneten.
die erstmalige Eröffnung des Reichsrathes nach diesem Grundgesetz erfolgte am 1. Mai 1861.
§ 2. Mitglieder des Herrenhauses sind durch Geburt die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses.
§ 3. Erbliche Mitglieder des Herrenhauses sind die großjährigen Häupter jener inländischen, durch ausgedehnten Gutsbesitz hervorragen Adelsgeschlechter, denen der Kaiser die erbliche Reichsrathswürde verleiht.
§ 4. Mitglieder des Herrenhauses vermöge ihrer hohen Kirchenwürde sind alle Erzbischöfe und jene Bischöfe, welchen fürstlichen Rang zukommt.
§ 5. Der Kaiser behält sich vor, ausgezeichnete Männer, welche sich um Staat oder Kirche, Wissenschaft oder Kunst verdient gemacht haben, als Mitglieder auf Lebensdauer in das Herrenhaus zu berufen.
§ 6. In das Haus der Abgeordneten kommen durch Wahl dreihundert
dreiundvierzig Mitglieder, und zwar in der für die einzelnen Königreiche
und Länder auf folgende Art festgesetzten Zahl:
für das Königreich Ungarn fünfundachtzig,
für das Königreich Böhmen vierundfünfzig,
für das lombardisch-venetianische Königreich
zwanzig,
für das Königreich Dalmatien fünf,
für das Königreich Kroatien und Slawonien neun,
für das Königreich Galizien und Lodomerien mit den Herzogthümern
Auschwitz und Zator und dem Großherzogthum Krakau
achtunddreißig,
für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns
achtzehn,
für das Erzherzogthum Oesterreich ob der Enns
zehn,
für das Herzogthum Salzburg drei,
für das Herzogthum Steiermark dreizehn,
für das Herzogthum Kärnthen fünf,
für das Herzogthum Krain sechs,
für das Herzogthum Bukowina fünf,
für das Großfürstenthum Siebenbürgen
sechsundzwanzig,
für die Markgrafschaft Mähren zweiundzwanzig,
für das Herzogthum Ober- und Nieder-Schlesien
sechs,
für die gefürstete Grafschaft Tirol und Vorarlberg
zwölf,
für die Markgrafschaft Istrien sammt dergefürsteten Grafschaft
Görz und Gradisca und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete
sechs.
Durch Weigerung des Reichstags des Königreiches Ungarn und der Landtage der Länder der ungarischen Krone (Kroatien und Slawonien, Siebenbürgen), Abgeordnete in den Reichsrat zu entsenden führte zur Undurchführbarkeit des Grundgesetzes, insbesondere hinsichtlich des "gesammten Reichsrathes". Deshalb erfolgte 1865 deren Sistierung und zu Verhandlungen über einen Ausgleich mit Ungarn, der im Februar 1867 gelang.
Durch Kaiserliches Patent vom 2. Januar 1867 wurden die noch laufenden Ausgleichsverhandlungen mit den Ländern der ungarischen Krone (Königreich Ungarn, Königreich Kroatien und Großfürstentum Siebenbürgen) vorweggenommen und für den 25. Februar 1867 eine außerordentliche Reichsratsversammlung (also kein ordentlicher oder außerordentlicher Reichsrat gemäß diesem Gesetz) einberufen. Durch die, trotz der Allerhöchsten Entscheidung vom 14. Februar 1867, die außerordentliche Reichsratsversammlung in einen außerordentlichen Reichsrat nach Maßgabe des wieder in Kraft gesetzten Grundgesetzes über die Reichsvertretung umzuwandeln, unbotmäßigen, neugewählten Landtage von Böhmen, Mähren und Krain, die durch Kaiserliche Patente vom 26. Februar, 1. März und 2. März 1867 aufgelöst wurden und Neuwahlen angesetzt wurden, ist die Einberufung des außerordentlichen Reichsrates durch Kaiserliches Patent vom 20. April 1867 auf den 20. Mai 1867 verzögert worden.
Durch Kaiserliche Patente vom 2. Januar 1867 und vom 20. April 1867 wurde allein der "engere Reichsrat", also der Reichsrat ohne die Vertreter der Länder der ungarischen Krone nach § 11 dieses Grundgesetzes, einberufen.
Durch das Gesetz vom 16. Juli 1867,
welches den Ausgleich mit Ungarn "im Prinzip" anerkannt hat,
wurden im § 6 die Linien
"für das Königreich Ungarn fünfundachtzig,
...
für das Königreich Kroatien und Slawonien neun,
...
für das Großfürstenthum Siebenbürgen sechsundzwanzig"
faktisch gestrichen.
§ 7. Die für jedes Land festgesetzte Zahl der Mitglieder wird von seinem Landtage durch unmittelbare Wahl entsendet.
Die Wahl hat durch absolute Stimmenmehrheit in der Art zu geschehen, daß die nach Maßgabe der Landesordnungen auf bestimmte Gebiete, Städte, Körperschaften entfallende Zahl von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses aus den Landtagsmitgliedern derselben Gebiete, derselben Städte, derselben Körperschaften hervorgehen.
Der Kaiser behält sich vor, den Vollzug der Wahl unmittelbar durch die Gebiete, Städte, Körperschaften anzuordnen, wenn ausnahmsweise Verhältnisse eintreten, welche die Beschickung des Hauses der Abgeordneten durch einen Landtag nicht zum vollzuge kommen lassen.
§ 8. Der Kaiser ernennt die Präsidenten und Vicepräsidenten aus den Mitgliedern jedes Hauses.
Die übrigen Functionäre hat jedes Haus selbst zu wählen.
§ 9. Der Reichsrath wird vom Kaiser alljährlich einberufen.
§ 10. Der Wirkungskreis des gesammten Reichsrathes umfaßt nach dem Art. II. des Diploms vom 20. October 1860 alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche sich auf Rechte, Pflichten und Interessen beziehen, die allen im Königreichen und Ländern gemeinschaftlich sind.
Solche sind namentlich:
a) Alle Angelegenheiten, welche sich auf die Art und Weise, sowie auf
die Ordnung der Militärpflicht beziehen;
b) alle Angelegenheiten, welche die Regelung des Geld-, Credits-, Münz-
und Zettelbankwesens, die Zölle und Handelssachen, die Grundsätze
des Post-, Eisenbahn- und Telegraphenwesens betreffen;
c) alle Angelegenheiten der Reichsfinanzen überhaupt; insbesondere
die Voranschläge des Staatshaushaltes, die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse
und Resultate der Finanzgebarung, die Aufnahme neuer Anleihen, die Convertirung
der bestehenden Staatsschulden, die Veräußerung, Umwandlung,
Belastung des unbeweglichen Staatsvermögens, die Erhöhung bestehender
und die Einführung neuer Steuern, Abgaben und Gefälle.
Die Steuern, Abgaben und Gefälle werden nach den bestehenden Gesetzen eingehoben, insolange diese nicht verfassungsmäßig geändert werden.
Die Staatsschuld ist unter die Controle des Reichsrathes gestellt.
Durch das Gesetz vom 16. Juli 1867, welches den Ausgleich mit Ungarn "im Prinzip" anerkannt hat, wurde der § 10 faktisch aufgehoben.
§ 11. Gegenstände der Gesetzgebung, welche allen Königreichen und Ländern, mit Ausnahme der Länder der ungarischen Krone, gemeinsam sind, gehören nach dem III. Artikel des Diploms vom 20. October 1860 zum verfassungsmäßigen Wirkungskreise des Reichsrathes ohne Zuziehung der Mitglieder aus den Ländern der ungarischen Krone.
Zu diesem engeren Reichsrathe gehören demnach, mit Ausnahme der im § 10 aufgezählten Angelegenheiten, alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche nicht ausdrücklich durch die Landesordnungen den einzelnen im engeren Reichsrathe vertretenen Landtagen vorbehalten sind.
Dasselbe gilt auch rücksichtlich solcher den Landtagen vorbehaltenen Gegenstände in dem Falle, wenn die gemeinsame Behandlung von dem betreffenden Landtage beantragt wird.
Bei vorkommenden Zweifeln rücksichtlich der Competenz des engeren Reichsrathes in gemeinsamen Gesetzgebungsangelegenheiten gegenüber der Competenz eines einzelnen, im engeren Reichsrathe vertretenen Landtages, entscheidet auf Antrag des engeren Reichsrathes der Kaiser.
Durch das Gesetz vom 16. Juli 1867,
welches den Ausgleich mit Ungarn "im Prinzip" anerkannt hat,
wurde der § 10 wie folgt faktisch geändert:
- im Abs. 1 wurde die Worte ", mit Ausnahme der Länder der ungarischen Krone,"
sowie die Worte "ohne Zuziehung der Mitglieder aus den Ländern der ungarischen
Krone" gestrichen.
- im Abs. 2 und im Abs. 4 wurden jeweils das Wort "engeren" gestrichen.
§ 12. Gesetzesvorschläge gelangen als Regierungsvorlagen an den Reichsrath.
Auch diesem steht das Recht zu, in Gegenständen seines Wirkungskreises (§§ 10 und 11) Gesetze vorzuschlagen. Zu allen solchen Gesetzen ist die Übereinstimmung beider Häuser und die Sanction des Kaisers erforderlich.
§ 13. Wenn zur Zeit, als der Reichstag nicht versammelt ist, in einem Gegenstande seines Wirkungskreises dringende Maßregeln getroffen werden müssen, ist das Ministerium verpflichtet, den nächsten Reichsrathe die Gründe und Erfolge der Verfügung darzulegen.
Durch Gesetz vom 16. Juli 1867 erhielt der § 13
folgende Fassung:
"§ 13. Wenn sich die dringende Nothwendigkeit solcher Anordnungen, zu
welchen verfassungsmäßig die Zustimmung des Reichsrathes erforderlich ist, zu
einer Zeit herausstellt, wo dieser nicht versammelt ist, so können dieselben
unter Verantwortung des Gesammtministeriums durch kaiserliche Verordnung
erlassen werden, in soferne solche keine Abänderung des Staatsgrundgesetzes
bezwecken, keine dauernde Belastung des Staatsschatzes und keine Veräußerung von
Statsgut betreffen.
Solche Verordnungen haben provisorische Gesetzeskraft, wenn sie von sämmtlichen
Ministern unterzeichnet sind, und mit ausdrücklicher Beziehung auf diese
Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes kundgemacht werden.
Die Gesetzeskraft dieser Verordnungen erlischt, wenn die Regierung unterlassen
hat, dieselben dem nächsten nach deren Kundmachung zusammentretenden Reichsrathe,
und zwar zuvörderst dem Hause der Abgeordneten, binnen vier Wochen nach diesem
Zusammentritte zur Genehmigung vorzulegen, oder wenn dieselben die Genehmigung
eines der beiden Häuser des Reichsrathes nicht erhalten.
Das Gesammtministerium ist dafür verantwortlich, daß solche Verordnungen, sobald
sie ihre provisorische Gesetzeskraft verloren haben, sofort außer Wirksamkeit
gesetzt werden."
§ 14. Zu einem giltigen Beschlusse des gesammten und beziehungsweise des engeren Reichsrathes ist in jedem Hause die absolute Stimmenmehrheit der Anwesenden erforderlich.
Anträge auf Aenderungen in diesem Grundgesetze erfordern in beiden Häusern eine Mehrheit von wenigstens zwei Dritteln der Stimmen.
§ 15. Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten haben von ihren Wählern keine Instructionen anzunehmen.
§ 16. Alle Mitglieder des Reichsrathes haben ihr Stimmrecht persönlich auszuüben.
§ 17. Die Function der aus einem Lande in das Haus der Abgeordneten entsendeten Mitglieder erlischt mit dem Tage des Zusammentritts eines neuen Landtages.
Sie können wieder in das Abgeordnetenhaus gewählt werden.
Wenn ein Mitglied mit Tod abgeht, die persönliche Fähigkeit verliert oder dauernd verhindert ist, Mitglied des Reichsrathes zu sein, so ist eine neue Wahl vorzunehmen.
§ 18. Die Vertagung des Reichsrathes, sowie die Auflösung des Hauses der Abgeordneten erfolgt über Verfügung des Kaisers. Im Falle der Auflösung wird im Sinne des § 7 neu gewählt.
§ 19. Die Minister, Hofkanzler und Chefs der Centralstellen sind berechtigt, an allen Berathungen Theil zu nehmen und ihre Vorlagen persönlich oder durch einen Abgeordneten zu vertreten.
Sie müssen auf Verlangen jedesmal gehört werden.
Das Recht, an der Abstimmung Theil zu nehmen, haben sie, in soferne sie Mitglieder eines Hauses sind.
§ 20. Die Sitzungen beider Häuser des Reichsrathes sind öffentlich.
Jedem Hause steht das Recht zu, ausnahmsweise die Oeffentlichkeit auszuschließen, wenn es vom Präsidenten oder wenigstens zehn Mitgliedern verlangt und vom Hause nach Entfernung der Zuhörer beschlossen wird.
§ 21. Die näheren Bestimmungen über den Geschäftsgang, den wechselseitigen und den Außenverkehr beider Häuser werden durch die Geschäftsordnung geregelt.
Gegeben in Unserer Haupt- und Residenzstadt Wien am sechsundzwanzigsten Februar im Eintausend achthundert einundsechzigsten, Unserer Reiche im dreizehnten Jahre.
Franz Joseph
Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling,
Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera
Auf Allerhöchste Anordnung
Ransonnet